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Zwei auf einer Insel

Lotte Lenya und Kurt Weill

 

Propyläen Verlag, Berlin 1999

400 S., Photos, Bibliographie

ISBN 3-549-05385-1

auch als Taschenbuch (Suhrkamp Verlag, 2005)

 

Sie sind eines der faszinierendsten Paare der jüngeren Musikgeschichte: Kurt Weill, zu den bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts zählend, und Lotte Lenya, die als Sängerin und Schauspielerin Karriere machte. Ein Künstlerpaar, das eine ganze Ära verkörpert: die legendären „goldenen Zwanziger“ der Weimarer Republik. Jens Rosteck hat die erste Doppelbiographie des Schöpfers der Dreigroschenoper und seiner emanzipierten Muse geschrieben. Ein Lesevergnügen voller Rhythmus und Musikalität.

„Famos recherchiert, in gewandtem, schönem Erzählton“ (Die Zeit) verknüpft Jens Rosteck das Arbeits- und Liebesleben zweier außergewöhnlicher Künstler.

 

Da war sofort diese geradezu magnetische Anziehungskraft, als sie sich bei einer Kahnfahrt zum Haus des Dramatikers Georg Kaiser 1924 erstmals begegneten: Lotte Lenya (1898-1981), als Karoline Blamauer in verwahrlosten Verhältnissen in Wien geboren, von dort 15jährig durchgebrannt, zuerst nach Zürich, dann nach Berlin, wo sie sich mit Gelegenheitsjobs und kleinen Bühnenrollen über Wasser hält. Und Kurt Weill (1900-1950), aus jüdisch-bürgerlichem Elternhaus in Dessau stammend, früh musikalisch gefördert und schon in den Zwanzigern als engagierter Wegbereiter moderner Musik gefeiert.

Die ungewöhnliche Liaison zwischen dem Schöpfer der Dreigroschenoper und seiner Muse, für die er seine schönsten Frauenrollen schrieb und die als Sängerin und Schauspielerin Karriere machte, überdauerte die Flucht aus Nazi-Deutschland, das Exil in Frankreich und den USA, zahlreiche Seitensprünge, zwei Hochzeiten und eine Scheidung und endete erst mit Weills Tod 1950 in New York.

Der Musikwissenschaftler Jens Rosteck legt die erste Doppelbiographie des so gegensätzlichen Paares vor. Kenntnisreich führt er durch das reiche künstlerische Leben der beiden, einfühlsam schildert er ihre sprunghafte, doch unzertrennliche Beziehung. Zugleich läßt er das pulsierende Bühnen- und Musikleben der zwanziger bis vierziger Jahre in den Metropolen Berlin, Paris und New York Revue passieren, stets vor dem Hintergrund der politischen Turbulenzen jener Zeit.

 

Stimmen und Rezensionen PDF

 

„Wer ihre Geschichte erzählen will, muß zwei ausgeprägten Persönlichkeiten, einem bedeutenden Stück Musik- und Theatergeschichte, dazu einem wesentlichen Teil der politischen Geschichte unseres Jahrhunderts gerecht werden. Er muß tief ins Private eindringen, ohne sich darin zu verlieren. Liebe und Kunst nicht von politischen Schatten verdunkeln und dennoch das Politische nicht ins Unwesentliche abdriften lassen. Keine leichte Aufgabe – Jens Rosteck hat sie gelöst.“

(Frankfurter Allgemeine Zeitung)

 

Ihre Stimme, seine Heimat

Lotte Lenya und Kurt Weill, Chanteuse und Komponist, und ihre große, schöpferische Liebe

„Ein pralles, fiebriges, mitunter arg anekdotisches Dasein. Ein Dasein, welches sich, merkwürdig genug, dem öffentlichen Blick fast nahtlos erschließt. Ob er im Gesicht der jungen Person, die ihn im Auftrag des Dramatikers Georg Kaiser an einem Sonntagmorgen im Juli 1924 von einem kleinen Provinzbahnhof unweit Berlins abholt, nun ‚eine Mischung aus kindlicher Unschuld und der Verschlagenheit einer Straßengöre‘ konstatiert oder ob Lotte Lenya, ebenjene Person, als sie längst verheiratet sind, unter einem Bandwurm leidet und er ihr als Therapie vorschlägt, den Wurm doch einfach "Adolf" zu nennen – es sind die intimen Details, die der Nachwelt das Gefühl bescheren, das Leben des Komponisten Kurt Weill jederzeit wie unter einem Mikroskop zu betrachten. Den Rest an Anschauung liefert ohnehin die Zeitgeschichte: Kaum eine andere Musikerbiographie (von Arnold Schönberg und Hanns Eisler einmal abgesehen) scheint mit den politischen Ereignissen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts so prominent verquickt. Vom kleinen anhaltischen Städtchen Dessau in die Weltmetropole New York, aus dem gestrengen jüdischen Kantorenhaushalt in ein Leben voller Freizügigkeiten führte für Weill kein Weg zurück. Und dann gab es da noch eine pralle, fiebrige und anekdotische Existenz: die der Karoline Wilhelmine Charlotte Blamauer, auch Linnerl genannt, die am 18. Oktober 1898 im 14. Wiener Bezirk das Licht der Welt erblickte, in schwerster Armut heranwuchs, sich, mit einem bodenständigen Sinn fürs Überleben ausgestattet, früh prostituierte, 1920 in Zürich die Theaterlaufbahn einschlug und 1924, wie gesagt, als sie bereits Lotte Lenya hieß und sich in Berlin von einem Engagement zum nächsten hangelte, Kurt Weill kennen lernte. Lange bevor sie sich das Haar karottenrot färbte und mit ihrem legendären Timbre aus ‚gesprungenem Glas‘, aus ‚Sandpapier gegen Sandpapier‘ seine weltberühmten Songs intonierte, den Surabaya Jonny und Youkali und natürlich die Ballade von Mackie Messer, galt Lenya als Inbegriff mondäner Verruchtheit.

Das Klischee von Künstler und Muse stimmt hier nicht

Sie war das Geschöpf der wilden zwanziger Jahre in Berlin – und Weills einzige Muse. ‚Wenn ich mich nach dir sehne‘, schreibt der Komponist 1926, ‚so denke ich am meisten an den Klang deiner Stimme, den ich wie eine Naturkraft, wie ein Element liebe. In diesem Klang bist Du (für mich) ganz enthalten, alles andere ist nur ein Teil von dir, und wenn ich mich in Deine Stimme einhülle, bist Du ganz bei mir.‘

Zwischen dem ‚alten, rotzigen Linnerl‘ jedoch, dem Lenya in einem verborgenen Winkel ihres Herzens zeitlebens die Treue hielt, und den lasziven Fotographien der frühen dreißiger Jahre, die die Chanteuse mit langer Zigarettenspitze zeigen und einem Blick ‚so intensiv wie leer‘, blieb stets auch Raum für Eigenes. Das Klischee des Künstlers und seiner Muse, das Klischee von männlichem Schöpfergeist und willigem weiblichen Echo, es findet bei Kurt Weill und Lotte Lenya wenig Nahrung. In seiner ausgesprochen interessant zu lesenden Doppelbiographie des Paares, Zwei auf einer Insel, nun trägt der Musikwissenschaftler Jens Rosteck diesem Phänomen erstmals ernsthaft Rechnung – ein gewaltiges, richtungweisendes Verdienst. Unwillkürlich kommen einem bei der Lektüre andere Paare der Musikgeschichte in den Sinn, denen ein solches Schicksal längst hätte beschieden sein müssen, Clara und Robert Schumann etwa oder auch Fanny Hensel und Felix Mendelssohn Bartholdy. In der Spiegelung nämlich, im zweifachen, ‚kritischen‘ Blick und vor allem: in der absoluten Gleichberechtigung von schöpferischer und nachschöpferischer Leistung enthüllt sich, was gelebtes Leben heißt und historische Aura meint.

Dabei hat Rosteck famos recherchiert: In gewandtem, schönem Erzählton strickt er die beiden Lebensläufe ineinander, liefert Werkbeschreibungen, mit denen Fachleute wie Laien etwas anfangen können, und ortet die verschiedenen Stationen des gemeinsamen Erfolges, von Flucht und Exil, von Heirat, Scheidung und zweiter Eheschließung stets auch in der zeitgenössischen Reflexion über Kunst. Einerseits spannt sich so vor dem inneren Auge ein funkelnder Bilderbogen der klassischen Moderne und wähnt man sich am Ende, ohne anstrengend belehrt oder mit Redundanzen belästigt worden zu sein, tatsächlich klüger.

Andererseits aber – und dies ist ein weiteres Verdienst des Buches im doppelten Weill-Jubiläumsjahr 2000 – träumt Rosteck auf unspektakuläre Art mit einigen hartnäckigen Legenden auf. Dass Kurt Weill ein sesshafter Workaholic war und Lotte Lenya eine leidenschaftlich nomadisierende, spielsüchtige Nymphomanin, ist demnach wohl wahr. Die Kausalität des Zusammenhangs aber, dass beide sich hinter ihrer jeweiligen Attitüde auch verschanzten, um aus der neu gewonnenen Distanz heraus den anderen immer wieder zu entdecken, spricht durchaus für ein ‚Bündnis der Stärke‘. Im Übrigen hatte auch Weill - angefangen mit Erika Neher – so seine Affären. Vielleicht schießt Jens Rosteck in seiner Insulaner-, Robinsonaden- und Schiffbruchsmetaphorik, die sich wie ein roter Faden durch das Geschehen zieht, hie und da ein wenig übers Erträgliche hinaus. Dennoch: Die Geschichte von ‚Kurtili‘ und seiner ‚lila Schweindi‘ zwischen Ku-Ddamm und Broadway wurde neu geschrieben.“

(Die Zeit)

 

Linnerl auf der Flucht

Jens Rostecks gelungene Doppelbiographie von Lenya und Weill

„Kurt Weill und Lotte Lenya – ein Künstlerpaar, ein Liebespaar, zeitweilig auch ein Ehepaar. Sie errangen gemeinsam berufliche Erfolge, leisteten sich getrennt allerlei Abenteuer, hatten, jeder für sich und beide zusammen, die Folgen der politischen Verhängnisse zu tragen, die ihrer Lebensspanne zugemessen waren. Wer ihre Geschichte erzählen will, muss zwei ausgeprägten Persönlichkeiten, einem bedeutenden Stück Musik- und Theatergeschichte, dazu einem wesentlichen Teil der politischen Geschichte unseres Jahrhunderts gerecht werden. Er muss tief ins Private eindringen, ohne sich darin zu verlieren; die künstlerische Vita seiner Protagonisten ausführlich schildern und sich nach Möglichkeit vor ödem Lexikonton hüten; Liebe und Kunst nicht von politischen Schatten verdunkeln und dennoch das Politische nicht ins Unwesentliche abdriften lassen. Keine leichte Aufgabe.

Jens Rosteck, Autor der Doppelbiographie Zwei auf einer Insel, hat sie gelöst. Er hat es fertig gebracht, uns über Weill/Lenya samt ihrer Epoche gründlich zu belehren und uns im gleichen Atemzug glänzend zu unterhalten. Das ist eine keineswegs selbstverständliche Leistung für jemanden, der gut zwei Generationen jünger ist als das berühmte Paar, der das Ambiente ihres Erdenwandels nur aus Büchern oder Filmen kennen kann. Rosteck, 1962 in Hameln geboren, in Paris wohnend, hat Musikwissenschaft und Germanistik studiert, an deutschen und französischen Universitäten geforscht und gelehrt, sich als Pianist und als Kabarettist auf Pariser und Berliner Bühnen getummelt, Arbeiten zur europäischen Literatur- und Musikgeschichte publiziert.

Der Autor führt uns zurück zum Jahrhundertbeginn, in die Dessauer Knabenzeit des Rabbinersohnes Kurt Weill, in die Wiener Kinderjahre der Armeleutetochter Karoline Blamauer – so der Geburtsname der späteren Lenya. Im wilhelminischen Deutschland wächst Kurt in bürgerlich braver und musikalisch engagierter Familientradition heran, den Kopf voller Künstlerträume. In Franz Josephs Österreich wehrt sich das ‚Linnerl‘ gegen die trostlose Zukunft, wie sie für Mädchen ihresgleichen vorgesehen war. Allein ihr Fluchtweg durch allerlei Theater von Zürich bis Berlin gäbe Stoff für ein spannendes Buch. Und dann die Begegnung mit Weill, die Entdeckung, wie sehr er und sie übereinstimmen, menschlich, erotisch, in Sachen Musik. Das Leben, so lehrt uns Rostecks Darstellung, liefert noch immer die eindrucksvollsten Liebesgeschichten; man muss nur sensibel genug sein, das auch zu erkennen.

Von der Bedeutung, die der junge Komponist Weill in Berlin gewann, von seiner Zusammenarbeit mit den literarischen Größen der zwanziger Jahre, vor allem der mit Brecht, ist uns schon oft erzählt worden. Aber Rosteck macht das auf besondere Weise: Er schafft uns einen ständigen Platz an Weills und Lenyas Seite, lässt uns mit ihnen arbeiten, hoffen, lieben, leiden, und während wir ihr Tun und Lassen verfolgen, werden wir zu Zeitgenossen der Roaring Twenties und begreifen, was damals vorging. Auch die Politik wandelt sich uns vom Objekt bloßen Wissens zum Teil gelebten Alltags, selten Hoffnung spendend, meistens niederdrückend.

Wir machen Halt in der Epoche der Totalitarismen, von denen der östliche schon gesiegt hat, der deutsche bald siegen wird. 1933 beginnt für Weill und Lenya die Zeit der Fremde, erst in Paris, später in New York. Alles Gewohnte löst sich auf, die Heimat, die Aura der frühen Erfolge, schließlich auch die Weill’sche Ehe. Dem unermüdlich fleißigen Musikschöpfer gelingt es, neues Terrain zu erobern, sich der anderen, der amerikanischen Gesellschaft anzupassen, sie sich gewissermaßen anzueignen. Die Interpretin dagegen verliert den Boden unter ihren Füßen, sie reüssiert nicht recht in der neuen Welt. Wie einst aus Wien nach Zürich und Berlin, flüchtet sie nun von Weills Seite in alle möglichen Abenteuer. Eingebettet in weltpolitische Wirrnisse, wachsen die privaten Wirren, es ist ein Wunder, dass die Beziehung all dies übersteht.

Doch Rosteck macht sehr deutlich, dass es sich bei der Bindung zwischen diesen Menschen nicht um eine Liebesgeschichte von der Stange handelt. Sie sind beide fremdgegangen und haben einander dennoch nie verlassen. Sie haben zwei Mal geheiratet und hätten es eigentlich überhaupt nicht tun müssen, um zueinander zu gehören. Wer das nicht Seite für Seite begreift, der spürt es spätestens, wenn die alt gewordene Lenya mit allen Kräften am Nachruhm des verstorbenen Weill arbeitet. Es ist sonderbar und rührend, wie ihr, nach langer beruflicher Frustration, ausgerechnet in den greisen Tagen noch einmal der Erfolg lacht, gewonnen aus derselben Materie und mit denselben Mitteln wie einst im Berliner Glück. Lenya hatte sich nach Weill noch vier Ehemänner geleistet und konnte doch nicht ohne den einen, einzigen auskommen. Auch Weill war ja niemals recht ohne sie ausgekommen, nur half ihm offenbar die Produktion seiner Musik besser über böse Zeiten hinweg als ihr deren Interpretation.

Dem Autor ist zu gratulieren.“

(Frankfurter Allgemeine Zeitung)

 

„Ein tolles Buch!  Eindringlich beschreibt Jens Rosteck die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg. [...] Eingebettet in solche gesellschaftlichen Skizzen von großer Dichte schildert er die märchenhafte Beziehung des Liebespaares Lenya und Weill. Weill, der Komponist aus gutem Hause, links, aber nie eingenommen von einer Partei und später im Exil in den USA auf ganz neuen, eigenen Wegen. Lotte Lenya, die Schauspielerin, die sich vom Leben benachteiligt fühlt und es deswegen in vollen Zügen genießt. Ein ungleiches Paar, von dem kritisch, aber nicht herablassend erzählt wird. Die Schilderung [von Weills] Liebschaften in Hollywood, Lenyas Ausflüge zu einem Liebhaber, all das macht dieses Buch zur aufregendsten der hier besprochenen Biographien.“

(berlinstory)